Ein höllisch guter Techniker

Photo by Tara Winstead on Pexels.com

So viele ordinäre Menschen leben auf dieser Welt. So viele, die jeden Tag ihren Alltag bestreiten. So einen ordinären Alltag. Auf der anderen Seite gibt es die »Feuerwehrleute« in Unternehmen. Die, die sich jeden Tag mit den ordinären Wehwehchen der Technik herumschlagen – auch wenn das Problem manchmal eher vor dem Bildschirm sitzt als dahinter. (Entschuldige, wenn ich an dieser Stelle von mir auf andere schließe.) Und unter all diesen umgangssprachlichen »Feuerwehrleuten«, die nie auch nur ein einziges echtes Feuer löschen, gibt es Egon. Egon Schienle, seines Zeichens IT-Hilfsdienst bei einem großen Unternehmen, das an dieser Stelle lieber anonym bleiben möchte. Nennen wir es der Einfachheit halber T. Aber Egon arbeitet nicht nur bei T, er hat auch noch einen außergewöhnlichen Nebenjob. Nun, bevor ich dich hier mit Beschreibungen langweile, schauen wir doch in Egons Büro vorbei und sie es dir selbst an:

Drei schwarze Computerbildschirme thronen auf einem schweren Holztisch, dahinter ein Regal, vollgestopft mit Ordnern, Tastaturen und Kabeln. Das Licht ist aus und die Sonne taucht alles in friedliches Licht. Das Zimmer ist verlassen und auch auf dem Gang herrschte Stille.

Egon? Wo ist er denn? Oh, ich habe ganz die Zeit vergessen. Es ist Sonntagmorgen, da ist er natürlich nicht im Büro. Nun, dann besuchen wir ihn mal zuhause.

Egon kämmt das akkurat gestutzte, leicht angegraute Haar nach hinten und fährt sich über den Schnurrbart. Er schiebt die Hornbrille hoch und betrachtet sich ein letztes Mal im Spiegel. Dann stimmt er zufrieden ein Liedchen an und tänzelt leichtfüßig aus dem Bad.

»Möchtest du ein zweites Ei zum Frühstück?«, ruft sein Mann aus der Küche.

Egon öffnet den Mund zur Antwort, als sich im Fußboden unter ihm plötzlich ein Loch auftut. Bevor es ihn verschluckt, schafft er noch ein entnervtes Schnauben. Dann ist er weg.

»Egon?« Markus steckt den Kopf in den Gang. An der Stelle, an der er seinen Mann erwartet hat, liegt nur einen Kreis aus Asche. Er verdreht genervt die Augen. »Schon wieder?«

Das Schnauben folgt Egon bis an seinen Zielort. Dort öffnet sich ein Loch in der Decke und spuckt den IT-ler aus. Gekonnt und ächzend landet er auf den Füßen und geht leicht in die Knie, um den Schwung irgendwie abzufedern. Diese Transportart schlaucht seine armen Knie immer mehr.

»Guten Morgen Thot, was ist es diesmal?« Er nickt dem ägyptischen Gott der Schreiber grüßend zu, der den Empfang des Jenseits‘ leitet. Der Reiherkopf des Gottes erschreckt ihn zum Glück schon lange nicht mehr.

»Ist es noch Morgen? Entschuldige, Egon. Du weißt, wir haben hier unten keine Möglichkeit, die Zeit in der Welt der Lebenden im Blick zu behalten«, trötet der Gott.

Egon dreht sich um und blickt auf sechs große Uhren, die alle dieselbe Zeit anzeigen. Einmal hat er eine nach seiner Armbanduhr gestellt, aber sie war sofort zurück auf Jenseitszeit gesprungen. Wozu man aber sechs Uhren braucht, die die hiesige Uhrzeit anzeigen – die immerhin vier Uhrzeiger braucht – erschließt sich ihm bis heute nicht. Aber er fragt auch nicht mehr nach.

Egon stützt sich auf den dunklen Tresen aus Kirschholz. »Also, was gibt es?«

Thot dreht sich zur Seite und klopft auf einen grauen Kasten. »Der Computer erkennt meinen Drucker schon wieder nicht. Könntest du dir das nochmal ansehen?«

Er kommt um den Tresen herum und setzt sich auf einen freien Hocker. »Hast du wieder versucht, in einer anderen Abteilung etwas auszudrucken? Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du das nicht mehr machen sollst?« Egon fährt sich durch die Haare, sodass sie ihm wild vom Kopf abstehen. Dabei hatte er sie gerade erst zurecht gekämmt.

»Aber Tod hat so süße Fotos von Hatty geschickt und mein Drucker kann nur schwarz-weiß.«

Egon bewegt die Maus und ein Foto einer friedlich schlafenden, rot gestromerten Katze erscheint auf dem Röhrenbildschirm. Ein hingebungsvolles Seufzen entfährt dem Techniker. »Na gut. Ich verzeihe dir aber nur, weil es um Hades geht. Sie ist einfach zu süß. Wo steht denn der Farbdrucker?«

»In der Aufnahmeabteilung. Der Aktendrucker dort macht wunderschöne Fotos. Aber selbst das hat nicht funktioniert.«

Egon wechselt einen Blick mit dem Gott, dann schickt er den Druckauftrag an den Aktendrucker und richtet dann wieder den Empfangsdrucker ein. Der Techniker blickt an die Decke. Drei … zwei … Unter ihm tut sich wieder ein Loch auf.

Dieses Mal landet Egon in der Aufnahmeabteilung, drei Stockwerke westlich vom Empfang. Er hat nie verstanden, warum das Jenseits in Himmelsrichtungen und Stockwerksanzahl rechnet, aber er hat ein einziges Mal einen Lageplan der Verwaltungszentrale gesehen und sich sehr an einen wirren Schaltkasten erinnert gefühlt. Damals hatte er um den Teleportruf gebeten, der bei jedem Ruf das Loch unter ihm öffnet und ihn in die eine Abteilung bringt, die ihn braucht. So kann er sich immerhin nicht im Jenseits verlaufen.

»Egon!« Anubis kommt auf ihn zu. »Der Aktendrucker hat eben Fotos von Hatty ausgespuckt! Ohne Druckauftrag! Einfach so!«

Er räuspert sich und streckt die Hand aus. »Ja, ich kümmere mich darum. Kommt nicht wieder vor.«

Anubis blickt hinunter auf die Katzenfotos, dann wieder zu Egon. »Eins behalte ich hier als Beweismittel. Zur Sicherheit. Falls das wieder vorkommt.«

»Aber natürlich.« Egon verkneift sich ein Lachen. Er hat das Foto extra mehrfach ausgedruckt. Er weiß, dass Anubis‘ Schreibtisch mit Hatty-Fotos tapeziert ist. »Schickst du mich zu Thot?«

Der Gott mit dem Schakalkopf nickt und mit einem Handzeichen öffnet sich wieder das Loch unter dem Techniker. Doch als der landet, findet er sich nicht an der Rezeption wieder.

»Egon!«

Er dreht sich um und steht einer schmächtigen Person im schwarzen Hoodie gegenüber. Die Kapuze hängt so tief, dass er kein Gesicht sehen kann, aber er erkennt den Tod auch so. Aus der Bauchtasche des Hoodies lugt ein rot gestromerter Katzenkopf. Egon hält Hatty sofort die Hand hin, an der sie neugierig schnuppert.

»Kannst du dir mein Handy ansehen? Irgendwie hab ich meine Rufnummer unterdrückt und so erreich ich die Zentrale nicht.« Der Tod hält ihm ein Nokia 3210 hin. Er ist der einzige Grund, aus dem Egon vor ein paar Jahren ein Handbuch dieses alten Modells teuer antiquarisch erstehen musste. Was tut man nicht alles für die Kundschaft. Fünf Tastendrücke später ist das Problem behoben.

»Sag mal, warum trägst du denn Fotos von meiner Katze mit dir herum?« Der Tod deutet auf die Zettel in Egons Hand.

»Das … die sind für Thot.«

Er legt den Kopf schief. »Dreimal das gleiche Foto?«

»Thot … wollte eben mehrere!«

Der Tod kichert trocken. »Keine Sorge, ich hab längst gemerkt, dass du dir Fotos von ihr erschleichst.«

»Ihr bezahlt mich für diese Extraschichten eben nicht gut genug, also nehme ich mir als Trinkgeld Katzenfotos mit. Mein Mann hängt sie im Zimmer für unser Besuchskind auf. Der Junge liebt Katzen, aber ist allergisch.«

»Na wenn das so ist … Wenn du möchtest, füge ich dich zum Hatty-Newsletter hinzu. Dann gibt es regelmäßig neue Fotos von ihr.«

»Ja, unbed-« Egon wird unterbrochen, als er durch ein weiteres Loch fällt. Diesmal landet er wieder bei Thot. Er gibt 2 der 3 Fotos ab und schiebt das letzte in seine Hosentasche.

»Vielen Dank für deine Dienste, Egon.«

Der Techniker nickt. »Versucht, diesmal etwas länger durchzuhalten.« Er rutscht durch ein weiteres Loch und wird zielgenau an seinen Esstisch gebracht.

Markus springt mit einem spitzen Schrei auf, als sein Mann direkt neben ihm aus der Decke fällt.

»Ich werde mich nie daran gewöhnen!«, schimpft Markus.

»Hier, ich hab etwas, um dein Gemüt zu beruhigen.« Egon zieht das Foto aus seiner Tasche, legt es auf den Tisch und setzt sich.

»Oh, dieses süße Ding!«

»Der Tod hat angeboten, mich in den Hatty-Newsletter aufzunehmen. Also bekommen wir bald sehr viele Katzenfotos.« Egon lächelt und greift nach einem Brötchen.

»Das ist ja schön. E-Mails aus der Hölle. Das kann außer uns auch niemand erzählen. Weswegen haben sie dich denn diesmal gerufen?«

Egon schneidet sein Brötchen auf und beginnt zu erzählen.

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